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Das große Degerloch-Archiv
von julian keller
"Ich bin kein Sammler, sondern Rechercheur und Archiv- und Bibliothekenbesucher", sagt Betram Maurer (Fotos) und legt die nächste Ausgabe des Degerloch Journal zum Einscannen bereit. Der Mann, der am 14. April bei der Mitgliederversammlung der Geschichtswerkstatt Degerloch sein Amt als 1. Vorsitzender niederlegte, bleibt dem örtlichen Verein erhalten.
Vor einigen Monaten hat das Redaktionsbüro huttmedia alle Ausgaben des Degerloch Journal von der Erstausgabe im April 1988 bis zum Herbst 2021 an die Geschichtswerkstatt übergeben. "Das ist die Ära, in der unser Stadtteil-Magazin auf hochwertigem Papier gedruckt wurde und vom AMW Verlag herausgegeben wurde", sagt Stephan Hutt, der das Blatt 1988 mit seinem Partner Thomas Schulz an den Start brachte. Damals musste er für den Namen "Degerloch Journal" kämpfen, weil es manchen Funktionären des Gewerbe- und Handelsvereins Degerloch (GHV) etwas zu modern war.
Aber das sind alte Geschichten. Alle Ausgaben wurden erhalten und können "händisch" bei der Geschichtswerkstatt durchgeblättert werden. "Unser Ziel war es, alle Ausgaben bis heute auch online durchsuchbar zu machen, sodass Interessierte die Möglichkeit haben, alle Hefte unseres Stadtteil-Magazins von früher bis heute einzusehen", sagt Maurer, der eine 40-Stundenwoche absolvierte, um die gedruckten Exemplare zu digitalisieren. Somit entstand ein neues Degerloch-Archiv. Wer Interesse hat, durch die DJ-Ausgaben zu surfen, kann das vorerst nur am Computer in der Geschichtswerkstatt absolvieren, später soll es dann möglich werden, von zuhause aus auf die Hefte zuzugreifen.
Wer also wissen will, wie das Programm des 18. Degerlocher Maimarktes im Jahr 2006 aussah, wer an den Nikolausmärkten von Ex-Bezirksvorsteherin Brigitte Kunath-Scheffold teilnahm, warum die Pläne für das Feuerwehrhaus aufgrund frühzeitiger Veröffentlichung des Degerloch Journal gekippt wurden, wen Hintergründe zu den Kosten und Fakten der Sanierung der Alten Scheuer aus dem Jahr 2002 interessieren oder was bei den "Blaumeisen-Parties" des Degerloch Journals im Waldaupark mit bis zu 1500 Gästen ab dem Jahr 1999 abging, hat jetzt ausreichend Möglichkeiten durch die DJ-Ausgaben von früher bis heute zu surfen.
Auch Bertram Maurer hatte seinen Spaß beim Einscannen der gedruckten Ausgaben. "Interessant fand ich die Streitereien um die Sanierung und Nutzung der Alten Scheuer sowie einen Beitrag aus dem Jahr 1995 über das Grab von Schulmeister Jakob Wetzel und Wilhelm Gohl, dem letzten Bürgermeister von Degerloch", blickt Maurer auf seine Arbeit am Scanner zurück. Amüsiert hat er sich auch über den Beitrag "Kuno Lustlos" aus dem Jahr 1989, als Kickers-Jugendleiter Kuno Lust die Lust an seinem Job verlor, ebenso über die Gebrauchsanweisung für den Trimm-Dich-Pfad aus dem Jahr 1988 sowie über Bezirksbeirat Klaus Albert Maier, der zu der reduzierten Besetzung des Degerlocher Polizeireviers mitteilte: "Am Wochenende kommen weniger Bankräuber, da sind die Banken zu."
Maurer, der in Malsch bei Karlsruhe geboren wurde, und seit 1976 in Stuttgart lebt, wird auch zukünftig als normales Mitglied der Geschichtswerkstatt die Treue halten und beispielsweise Führungen über den Dornhalden- und Waldfriedhof anbieten. Dabei spricht der Pädagoge im Ruhestand die Dinge direkt an, denn das steht für einen gebürtigen Badenser. "In der direkten und offenen Kommunikation unterscheiden sich die Badener und Württemberger", sagt der "inzwischen gelernte Stuttgarter", der auch schon mehrere Publikationen veröffentlicht hat. Zum Beispiel über den Mathematiker Rudolf Mehmke, der früher in Degerloch lebte und dessen Tochter 1940 dem Euthanasie-Programm der Nazis in Grafeneck zum Opfer fiel. Aber auch einige wissenschaftliche Werke sowie das Buch "Die Dornhalde vom Schießplatz zum Friedhof". Die Geschichte des Dornhaldenfriedhofs lag Maurer schon immer ganz besonders am Herzen.