extra
Leb wohl, heimlicher Bürgermeister
von stephan hutt
Es war das Jahr 1987, als ich die knarrende Treppe zu dem Hinterhofgebäude Epplestraße 32 hinaufstieg. Eine gewisse Nervosität war sicherlich dabei, als ich Elektromeister Rolf Reihle erstmals in seinem Büro aufsuchte, um mein Anliegen vorzubringen. Freundlich strahlend, mit einem Spruch auf den Lippen, hat er mich begrüßt - und daran hat sich 35 Jahre lang nichts geändert. Mit einem Unterschied. Seit jener Zeit musste ich mich bei ihm nicht mehr anmelden - sein Büro stand immer offen und auch die Begrüßung ist geblieben, wie sie immer war.
Das Anliegen, um das es damals ging, war ein Projekt im Format A4, mit roter Farbe und gedruckt auf ansprechendem Papier - das Degerloch Journal. Als Nobody im Ort, der sich erst kürzlich selbstständig gemacht hatte, wollte ich den damaligen Vorsitzenden des Gewerbe- und Handelsverein Degerloch (GHV) in das Vorhaben einbeziehen, damit das Konzept eines neuen Stadtteil-Magazins für unseren Stadtbezirk nicht im Papierkorb landet. Der Rest ist Geschichte. Dass ohne Rolf Reihle, den manche den "heimlichen Bürgermeister" von Degerloch nannten, nicht viel lief im Ort, ist ebenfalls Geschichte.
Ob Degerloch Journal, Degerloch hilft, Jazz-Frühschoppen, die legendären "Degerlocher Maimärkte", Marktplatzfeste, Degerlocher Weihnachtshilfe oder Weihnachtsbeleuchtung - nichts von dem wäre ohne Reihle möglich gewesen. Mit ihm bei diesen Projekten zusammenzuarbeiten hat immer reichlich Spaß gemacht, denn er zeigte sich stets gut gelaunt, humorvoll, zuversichtlich, hilfsbereit - und vor allem als Teamplayer und Freund. Chefgehabe, Arroganz und Hintenrumlästerei waren nicht das Ding des Geschäftsmannes, der so manche Sitzungen mit einem mehr oder weniger lustigen Witz beendete.
Ob 16 Jahre als GHV-Vorsitzender oder 12 Jahre als Chef der Werbegemeinschaft, ob als Gründungsmitglied des gemeinnützigen Spendensammelvereins "Degerloch hilft" oder als Bezirksbeirat - Rolf Reihle war ein Mann des Ehrenamtes. "Sein Degerloch" war ihm stets wichtig und Ehrenamt war Ehrensache. Alles was der zweifache Familienvater bewirkte, tat er mit Leidenschaft für seinen Heimatort und nicht, um seine Person in Vordergrund zu stellen. Sein Netzwerk, seine Ideen, sein Einfühlungsvermögen, aber auch sein Gefühl für Taktik waren für Degerloch von großer Bedeutung. Nicht umsonst entstand der Begriff des "heimlichen Bürgermeisters", der durch seinen Tod eine große Lücke in unserem Stadtbezirk hinterlassen hat. Seinem Heimatort galt auch das Interesse in seinen schwersten Stunden im Haus auf der Waldau. "Les mir mal neue Nachrichten von degerloch.info vor", sagte er immer wieder mit einem Lächeln im Gesicht, als ich ihn am Krankenbett besuchte.
Zurück bleiben viele Erinnerungen und Begegnungen rund um gemeinsame Projekte, Feste, Veranstaltungen und Ausflüge in sein geliebtes Wildermieming in Tirol. Vermissen werde ich den Gang über die Treppe zu seinem Büro, die freundliche Begrüßung mit einem lockeren Spruch und den Griff in seine Ablagen, wenn er irgendwelche Schreiben und Papiere hervorkrustelte und meinte: "Schau dir das mal an, was machen wir da?" Viele Anliegen und Wünsche konnten wir gegenseitig erfüllen - nur eines nicht. Wie sagte er doch öfters zu mir: "Am Schluss machen wir zusammen eine Wohngemeinschaft im Haus auf der Waldau und sorgen dort für Stimmung." Dieser Wunsch ging nicht in Erfüllung, und so bleibt mir nur ihm nachzurufen - "leb wohl, heimlicher Bürgermeister von Degerloch".
Trauerfeier
Samstag, 23.9. - 14 Uhr, Michaelskirche Degerloch