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Ein Vorbild pro Integration
von stephan hutt
Das Leben des Degerlochers ist bis zum heutigen Tag ein Leben für die Gemeinschaft. Als Konzernbetriebsratsvorsitzender, Bezirksbeirat in seinem Wohnort, Gemeinderat in Stuttgart und Mandatsträger vieler weiterer Organisationen und Vereine war und ist Ergun Can hochgeachtet. Das Schnitzen schwäbisch-alemannischer Masken gehört zu seinen geliebten Hobbies. Gelernt hat er dasHandwerk in Schramberg, dem ersten Wohnort seiner Familie nach der Emigration aus der Türkei in den 60er Jahren. Aber ein Buch schreiben - das war bis vor kurzem nicht der Plan, bis ihn sein Freund und SPD-Parteigenosse Gerhard Lang (†), ehemaliger Erster Bürgermeister der Stadt Stuttgart, dazu motivierte. "Ohne ihn wäre dieses Buch nicht erschienen", sagt Can zu seinem Werk "Vom Bosporus zum Nesenbach - und zurück?", das kürzlich im Verlag R. G. Fischer erschienen ist.
Migration und Integration sind nach wie vor hochaktuelle und kontroverse Themen. In seinem Buch erzählt Can, wie er vom Türkenjungen zum Deutschen wurde, wie er seine Kinder- und Jugendjahre in Baden-Württemberg erlebt hat und das Schnitzen schwäbisch-alemannischer Masken für sich entdeckte. Der in Degerloch heimisch gewordene Diplom-Ingenieur mit türkischen Wurzeln, der Sport und Spiel als wichtiges Element der Integration betrachtet, hat sich schnell und gut eingelebt. Ganz im Gegensatz zu seinen Eltern, die aus wirtschaftlichen Gründen nach Deutschland kamen und nach 20 Jahren in ihre Heimat zurückkehrten.
Sehr interessant und emotional schildert Can den Verlauf seines Lebens vom Aufwachsen im türkischen Heimatdorf Kartal, geprägt von der Liebe zu seiner Oma, bis zur Ankunft im schwarzwäldlerischen Schramberg und dem weiteren Weg mit Schule, Ausbildung und Studium. Dass die Eltern ihre Kinder zweisprachig erzogen, förderte deren Integration, kam aber auch der Polizei und diversen Behörden zugute. Can betätigte sich immer wieder als Dolmetscher unter dem Aspekt der Integration seiner Landsleute und der Verständigung mit den Deutschen.
Die Religionszugehörigkeit war für den "Deutsch-Türken" nie ein Problem. "Mohammed aus Medine oder Jesus von Nazareth?" lautet eines der Kapitel in dem 92-seitigen Werk. "Ich bin als Moslem geboren und aufgewachsen, ich bleibe Moslem mein Leben lang", schreibt der Autor, der diesbezüglich häufig als Vermittler auftrat. Vermitteln und helfen war schon immer seine Leidenschaft. "Hilfe für andere, egal welcher Herkunft, liegt mir einfach im Blut und ist mir ein echtes Bedürfnis" - das zieht sich auch wie ein roter Faden durch dieses sehr lesenswerte Buch. "Ohne Wenn und Aber - Ergun Can ist ein Vorbild!" bringt es der dieses Jahr gestorbene Ex-Daimler-Chef Edzard Reuter auf den Punkt. Den ehemaligen Schönberger, der seine Kindheit in Ankara verbrachte, konnte der Autor für ein Vorwort gewinnen.
Aber wie wird die Zukunft aussehen von Ergun Can, der fast sechs Jahrzehnte in Deutschland verbracht hat? Nach wie vor schlagen zwei Herzen in der Brust des Ruheständlers. Es wird sich zeigen, ob er und seine Frau weiterhin ihren Lebensmittelpunkt in Degerloch behalten, oder auf den Spuren von Erguns Eltern in die Türkei zurückkehren.
Bibliographie
Vom Bosporus an den Nesenbach - und zurück?
Ergun Can - R. G. Fischer Verlag
ISBN 978-3-8301-9394-4
92 Seiten, mit Bildern, 11,90 Euro
Im Buchhandel oder hier erhältlich





