extra
Informativ und kritisch
von stephan hutt
"Die Geschichtswerkstatt fühlte sich nach einem Vortrag von Judith Breuer über die Baugeschichte der Michaelskirche verpflichtet, diese Informationen einer größeren Öffentlichkeit zugänglich zu machen", sagt Helmut Doka. Der 1. Vorsitzende des Degerlocher Vereins freute sich dann über das Angebot des ehemaligen Bezirksbeirates Klaus Albert Maier, das Buch mitzufinanzieren, das dieses Jahr erschienen ist.
In dem 95-seitigen Werk im Format A4 sind die wiederentdeckten und teils aquarellierten Pläne des namhaften württembergischen Architekten Christian F. Leins von 1863 besonders ausgewertet. Sie erzählen zusammen mit neuen historischen Erkenntnissen die Geschichte der Degerlocher Hauptkirche von Mitte des 14. Jahrhunderts bis zum heutigen Tag ausführlicher, als es die bisherige Ortshistorie konnte. Die Pläne sind in der Veröffentlichung jeweils seitenfüllend abgebildet, außerdem bietet die Publikation zahlreiche Zeichnungen, Illustrationen und Fotos aus der Geschichte der Kirche, aber auch vom Neubau des Evangelischen Gemeindehauses.
Für das Gebäude, zu dem die Evangelische Kirchengemeinde im Jahr 2013 einen Architektenwettbewerb ausschrieb, mussten die Häuser Große Falterstraße 8 und 10 am Agnes-Kneher-Platz erworben und abgebrochen werden. Mit dem Neubau, der im Jahr 2018 eingeweiht wurde, hat sich Judith Breuer auch kritisch auseinandergesetzt. "Man ist in unverständlicher Weise bis auf den geringen Abstand von 1,35 Meter an den Kirchturm herangerückt", schreibt die anerkannte Degerlocher Kunsthistorikerin und Denkmalpflegerin. Außerdem habe der Neubau die Umgebung der Kirche nachhaltig verändert und würde sie im Westen beengen und verdecken.
Dass der Neubau in den südwestlichen Bereich des Kirchhofes eingreift und erhaltenswerte, gusseiserne Grabkreuze wie beispielsweise vom früheren Schultheißen Christoph F. Gohl beschädigt wurden sind weitere Kritikpunkte der Verfasserin. Sie erwähnt auch, dass der turmnahe und tiefgreifende Aushub für den unterkellerten Neubau zu Setzungen und Rissen in der zuvor instandgesetzten Kirche führten. Da sich bei einer Besichtigung im Jahr 2024 ein neuer Riss am südwestlichen Portal gezeigt hat, erscheint demnach eine dauerhafte Beobachtung und Messung am Turm und Schiff der Michaelskirche notwendig.
Die Bautechnik des Evangelischen Gemeindehauses sorgte bereits nach einem Vortrag von Judith Breuer in der Alten Scheuer für Gesprächsstoff. Das betrifft seit Längerem auch die Namensbenennung des Gebäudes in Elly-Heuss-Knapp-Haus. Die Frau des Bundespräsidenten Theodor Heuss hat sich große Verdienste durch die Gründung des Müttergenesungswerkes erarbeitet - aber keine für Degerloch. Bis zum Herbst 1949 wohnte das Ehepaar Heuss in der Löwenstraße 85. Von Zeitzeugen ist überliefert, dass sich die beiden immer wieder über den Kinderlärm auf der Straße und die Musik des Degerlocher Posaunenchors bei Probeabenden im damaligen Evangelischen Gemeindezentrum in der Erwin-Bälz-Straße beschwert haben.
Der Gemeinderat der Evangelischen Kirche hat sich seinerzeit für eine nicht sehr glückliche Namensbenennung entschieden. Nach Agnes Kneher, der Gründerin des Degerlocher Frauenkreises mit dem Agnes-Kneher-Platz und Helene Pfleiderer als große örtliche Gönnerin mit dem Helene-Pfleiderer-Haus, hätte man im Zentrum unseres Stadtbezirkes mit Hannelore Sommer eine dritte Degerlocher Persönlichkeit würdigen können. Die langjährige Vorsitzende des Degerlocher Frauenkreises (1974 - 1992) baute die 1984 ins Leben gerufene Nachbarschaftshilfe aus, gründete das Gesprächsfrühstück in der Versöhnungsgemeinde, war Mitinitiatorin der "Degerlocher Weihnachtshilfe" sowie Mitglied des örtlichen Bezirksbeirates. Zudem begleitete sie noch weitere Ehrenämter und wurde im Jahr 1998 mit der baden-württembergischen Verdienstmedaille geehrt. Die Chance eines Hannelore-Sommer-Hauses wurde 2018 vertan, was inzwischen einige bereuen, die daran mitgewirkt haben.
Info
Die Michaelskirche in Degerloch
Wiederentdeckte Pläne des Christian F. Leins
als Quellen der Baugeschichte
Judith Breuer, Geschichtswerkstatt Degerloch
95 Seiten, 86 meist farbige Abbildungen, 15 Euro
Erhältlich bei:
Geschichtswerkstatt zu den Öffnungszeiten
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